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Gesundheitsversorgung im Jahr 2039
– wie wollen wir diese gestalten?
Eine immer älter werdende Bevölkerung und immer weniger personelle und finanzielle Ressourcen. Dadurch verlassen viele Menschen die medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Berufe. Viele junge Menschen ergreifen diese Berufe gar nicht mehr.
Ist unser Gesundheitssystem eigentlich auf den Menschen und seine Gesundheit ausgerichtet?
Wie beurteilen wir die zunehmende Ökonomisierung im Gesundheitswesen?
Stellen wir uns die Systemfrage?
Künstliche Körperteile, die individuell angepasst aus dem 3D-Drucker kommen. Notfallpatienten werden per Videostream versorgt. Winzige Sonden navigeren durch unseren Körper, um kranke Organe zu identifizieren. Zudem können wir einzelne Organe zielgerichtet medikamentös versorgen. Roboter, die die Hände des Operateurs ersetzen oder uns andersweitig unterstützen. Intelligente Implantate, die uns das Hören, Sehen, Gehen oder was auch immer ermöglichen. Der Patient: gläsern, manchmal selbstbestimmt oftmals fremdbestimmt, vernetzt, überwacht und im Grunde allein für sich verantwortlich.
Willkommene Vision oder Alptraum?
Viele Fragen. Suche Antworten.
Von Zukunftsszenarien dieser Art werden wir derzeit überschüttet. Technologisch ist bereits heute vieles möglich.
Aber was bedeuten diese technischen Fortschritte für den Menschen bzw. für uns als Patienten? Wird die synthetische Biologie, Gentherapie und künstliche Intelligenz unser Gesundheitssystem radikal verändern? Wie bezahlen wir die Highendtechnologie in unserer Gesundheitsversorgung? Wird diese dann auch allen Menschen zugänglich sein? Welche Priorität wird der Wert Gesundheit für uns haben? Wird es ein fester Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein? Was für eine Gesundheitsversorgung brauchen wir tatsächlich? Was erwarten wir von einem leistungsstarken Gesundheitssystem im Jahr 2039? Haben wir eine Strategie? Wenn ja, wie sieht diese aus?
Frauengesundheit
Geburtshilfe im Flächenland Niedersachsen – Keine geeignete Versorgungsstruktur für Zentralisierung
Die Debatte um die Zentralisierung stationärer Krankenhausleistungen ist in der deutschen Gesundheitspolitik hochaktuell. Auch in Niedersachsen werden strukturelle Reformen diskutiert, die unter anderem eine Bündelung geburtshilflicher Angebote in größeren Zentren vorsehen. Ich versuche eine Stellung zu diesem Aspekt im Gesundheitswesen einzunehmen und prüfe, ob die Geburtshilfe als Bereich der stationären Versorgung für eine Zentralisierung geeignet ist – mit Fokus auf die spezifischen Anforderungen eines Flächenlands wie wir es hier in Niedersachsen haben.
These
Die Geburtshilfe ist für eine zentrale Strukturierung nur sehr eingeschränkt geeignet. Eine flächendeckende wohnortnahe Versorgung ist medizinisch notwendig, sozialpolitisch geboten und gleichstellungspolitisch unerlässlich.
Ist die medizinische Versorgungssicherheit durch eine Zentralisierung gefährdet?
Studien zeigen, dass lange Anfahrtszeiten zur Geburtsklinik mit einem erhöhten Risiko für Komplikationen bei Mutter und Kind korrelieren (z. B. Frühgeburten, außerklinische Geburten, Notfallkaiserschnitte).
In Niedersachsen beträgt die Entfernung zur nächsten geburtshilflichen Einrichtung in ländlichen Regionen teilweise über 50 km.
Die WHO empfiehlt, dass geburtshilfliche Notfallversorgung innerhalb von 2 Stunden erreichbar sein sollte – ein Richtwert, der durch Klinikschließungen gefährdet ist.
Quellen:
WHO (2018): Standards for improving quality of maternal and newborn care in health facilities
Geraedts et al. (2018): Regionale Unterschiede in der Qualität der stationären Versorgung. In: Gesundheitsmonitor.
Wie ist die Soziale und gleichstellungspolitische Dimension?
Frauen in ländlichen Regionen sind von Schließungen besonders betroffen – insbesondere Alleinerziehende oder Frauen ohne Auto.
Eine Zentralisierung ohne flankierende Maßnahmen führt zu Versorgungsungleichheit, was ein Gleichstellungsproblem darstellt.
Geburt ist ein zentraler Lebensabschnitt, der von Vertrauen, Sicherheit und persönlicher Betreuung geprägt sein muss – Aspekte, die durch anonyme Großkliniken nicht immer gewährleistet werden können.
Quellen:
BARMER (2020): Versorgungsreport Geburtshilfe
Deutscher Hebammenverband (2021): Bericht zur Hebammenversorgung
Ist die Flächenstruktur Niedersachsens in Bezug auf eine Zentralisierung strukturell problematisch?
Niedersachsen ist das zweitgrößte Bundesland mit überdurchschnittlich vielen ländlich geprägten Landkreisen.
Eine „Ein-Klinik-pro-Kreis“-Logik widerspricht der topographischen und infrastrukturellen Realität.
Die Schließung der Klinik in Dannenberg (2020) im Wendland zeigt exemplarisch, dass Zentralisierung zu Versorgungslücken führt.
Quelle:
Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration (2023): Bericht zur geburtshilflichen Versorgung
Gelten Qualitätsargumente nur für Hochrisiko-Fälle?
Zentralisierung kann Vorteile bei komplexen Risikogeburten bieten (z. B. durch Neonatologie, interdisziplinäre Teams).
Für die Mehrheit gesunder Schwangerschaften gilt: Die Vorteile wohnortnaher, vertrauensvoller Betreuung überwiegen.
Die Fokussierung auf wirtschaftliche Effizienz (Fallzahlen, DRGs) ist in der Geburtshilfe ethisch fragwürdig, da der Schutz von Mutter und Kind nicht rein betriebswirtschaftlich kalkuliert werden kann.
Quelle:
IQTiG (2022): Qualitätsreport Geburtshilfe
Bertelsmann Stiftung (2019): Geburtshilfe in der Fläche sichern – Reformansätze
Welche Handlungsempfehlungen sehe ich?
Keine weitere Zentralisierung ohne gleichzeitige Schaffung sektorenübergreifender Versorgungsketten (z. B. Hebammenzentren, Geburtshäuser mit Klinikkooperation).
Einführung von Erreichbarkeitsindikatoren (z. B. max. 30 Minuten Fahrtzeit) in der Krankenhausplanung.
Stärkung der wohnortnahen Hebammenversorgung, auch durch finanzielle und strukturelle Förderung im ländlichen Raum.
Regionale Versorgungsnetzwerke entwickeln, die Geburtskliniken, Hebammen, Fahrdienste, Vorsorge- und Nachsorgeangebote integrieren.
Partizipative Planung unter Einbeziehung von Betroffenen, Kommunen und Versorgungsakteuren.
Mein Fazit
Die Geburtshilfe stellt eine Grundversorgung dar, die sich nicht pauschal zentralisieren lässt, ohne gravierende Nachteile für Sicherheit, Gleichstellung und Lebensqualität der Betroffenen in Kauf zu nehmen. Für ein Flächenland wie Niedersachsen braucht es eine dezentral organisierte, aber qualitätsgesicherte Geburtshilfe, die sowohl stationäre als auch ambulante Strukturen integriert. Die gegenwärtige Zentralisierungslogik muss kritisch hinterfragt werden.
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